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Durch inklusive Bildung voneinander lernen

Zwei Jugendliche, einer im Rollstuhl, sitzen vor einem Computer

Ab 5. März findet in Wien wieder die Zero Project Conference statt. Zero Project ist ein Verein, der sich weltweit für Menschen mit Behinderungen einsetzt. Letztes Jahr hat Zero Project das Schulzentrum Ungargasse (SZU) als Vorbild für inklusive Bildung ausgezeichnet.

Am SZU haben Jugendliche mit Behinderungen Vorrang bei der Aufnahme an die Schule. Das SZU folgt dem System umgekehrter Integration. Schüler und Schülerinnen mit Behinderungen werden am SZU also zuerst aufgenommen, erklärt Elisabeth Schaludek-Paletschek. Sie ist Lehrerin und unterrichtet am SZU. Schaludek-Paletschek glaubt, umgekehrte Integration ist der erste Schritt, um in Zukunft Inklusion zu erreichen.

Integration bedeutet, Menschen müssen sich so an die Bedingungen anpassen, dass sie an der Gesellschaft teilnehmen können. Inklusion bedeutet, die Bedingungen müssen so flexibel sein, dass alle Menschen an der Gesellschaft teilnehmen können.

Am Beispiel vom SZU und der umgekehrten Integration dort bedeutet das: Die Schule unterstützt die Schüler und Schülerinnen entsprechend ihren Bedürfnissen. Die Schüler und Schülerinnen wissen nämlich am besten, was sie im Unterricht brauchen und wie sie am besten lernen können. Dabei macht es für Schaludek-Paletschek keinen Unterschied, ob Schüler und Schülerinnen eine Behinderung haben oder nicht.

Umgekehrte Integration

Stephanie Godec von der Österreichischen UNESCO-Kommission sagt über das SZU, dass es in Österreich keine vergleichbare Schule gibt. Die UNESCO ist eine Sonder-Organisation von der „Organisation der Vereinten Nationen“, kurz UNO. Die UNESCO fördert Bildung. Godec erklärt, dass politische Unterstützung wichtig für inklusive Bildung ist. Außerdem brauchen Lehrer und Lehrerinnen mehr bezahlte Stunden, um den Unterricht vorzubereiten.

Zusätzlich zu politischer Unterstützung und Geld ist Mut wichtig, damit inklusive Bildung funktioniert. Oft haben Lehrer und Lehrerinnen nämlich Angst Fehler zu machen, wenn sie Schüler und Schülerinnen mit Behinderungen unterrichten. Fehler sind aber erlaubt, denn aus Fehlern lernt man. Man muss mit Menschen mit Behinderungen sprechen und es dann besser machen, erklärt Godec.

Barrierefreiheit und Unterstützung statt Sonder-Lehrplan

Am SZU gibt es 8 unterschiedliche Ausbildungen. Schüler und Schülerinnen mit Behinderungen werden am SZU nicht nach einem Sonder-Lehrplan unterrichtet. Je nach Ausbildung gilt für alle Schüler und Schülerinnen der gleiche Lehrplan. Die Gebäude und Räumlichkeiten sind barrierefrei, es gibt Unterstützung beim Lernen und Therapie-Angebote. Bei Bedarf bietet das SZU zusätzliche Unterstützung durch Pflege-Personal an. Außerdem gibt es ein Wohnheim für die Schüler und Schülerinnen vom SZU, erklärt Martina Mikovits. Sie ist die Direktorin vom SZU.

Das SZU ist eine öffentliche Bundes-Schule im 3. Bezirk in Wien. Das bedeutet, der Staat Österreich übernimmt die Kosten. Diese Kosten lohnen sich auf jeden Fall, sagt Mikovits. Denn die Ausbildung der Schüler und Schülerinnen hat einen hohen Nutzen für die Zukunft. Wenn die Schüler und Schülerinnen später arbeiten und Geld verdienen, ist das gut für die Wirtschaft. Jeder der arbeitet, zahlt nämlich Steuern. Steuern sind das Geld, mit dem der Staat zum Beispiel neue Schulen bauen kann.

SZU fördert Sozial-Kompetenz

Die Lehrerin Schaludek-Paletschek will in ihren Klassen Sozial-Kompetenz fördern. Sozial-Kompetenz bedeutet, dass man gut im Umgang mit Menschen ist. Zu Sozial-Kompetenz gehören Empathie, Resilienz und Flexibilität. Empathie bedeutet, dass man die Gefühle von anderen Menschen nachfühlen und verstehen kann. Resilienz bedeutet, dass man sich auch in schwierigen Momenten zu helfen weiß. Flexibilität bedeutet, dass man gut mit verschiedenen Situationen und Menschen zurechtkommt. Sozial-Kompetenz ist ganz wichtig, um später Arbeit zu finden.

Auch ein ehemaliger Schüler berichtet, dass er am SZU viel über Sozial-Kompetenz gelernt hat. Soziale-Kompetenz hilft im Umgang mit behinderten Menschen und ist wichtig für das spätere Leben. Er will auch Scham komplett streichen. Niemand soll sich dafür schämen, auf eine Integrations-Schule wie das SZU zu gehen. Auch Eltern sollen sich nicht schämen, wenn ihre Kinder auf eine Integrations-Schule gehen.

Ein anderer Schüler berichtet, dass die Lehrer und Lehrerinnen am SZU sehr gut auf die Schüler und Schülerinnen aufpassen und immer auf sie zugehen. Sie ermutigen die Schüler und Schülerinnen zu reden, besonders wenn sie schüchtern sind. Das ist ein großer Unterschied zu anderen Schulen, beschreibt ein weiterer Schüler. Auch er hat letztes Jahr erfolgreich seinen Schul-Abschluss gemacht und am SZU maturiert.

Sonderschulen sind teuer

Wolfgang Plaute ist Experte für inklusive Bildung. Plaute erklärt was wichtig ist, damit inklusive Bildung funktioniert. Schüler und Schülerinnen brauchen individualisierte Lehrpläne. Die Lehr-Person muss den Unterricht also an das Wissen der einzelnen Schüler und Schülerinnen anpassen. Dabei helfen Wochen-Pläne, mit denen die Schüler und Schülerinnen selbstständig lernen können. Die Lehr-Person ist die Anlauf-Stelle für die Schüler und Schülerinnen. Die Schüler und Schülerinnen kommen also selbstständig mit Fragen zur Lehr-Person.

Außerdem empfiehlt Plaute größere Klassen mit zwei Lehr-Personen, damit sich die Lehr-Personen gegenseitig kontrollieren können. Österreich gibt sehr viel Geld für Bildung aus und hat sogar eines der teuersten Schul-Systeme weltweit. Sonderschulen sind besonders teuer, erklärt Plaute.

Experte Plaute: „Win-Win-Situationen schaffen“

Fast 30.000 Kinder und Jugendliche in Österreich haben sonderpädagogischen Förderbedarf, kurz SPF. Kinder und Jugendliche mit SPF brauchen besondere Unterstützung, damit sie im Unterricht mitkommen. In Österreich geht die Hälfte aller Schüler und Schülerinnen mit SPF in eine Sonderschule. Sonderschulen sind aber nicht inklusiv, weil dort nur Kinder und Jugendliche mit Behinderungen unterrichtet werden.

Was sind Nachrichten in Einfacher Sprache?
Nachrichten in Einfacher Sprache sollen Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen Schwierigkeiten beim Lesen haben, das Verstehen von Nachrichten erleichtern. Die Sätze sind kürzer. Schwierige Wörter werden durch einfache Wörter ersetzt oder erklärt. ORF Topos bringt diese Nachrichten gemeinsam mit der Inklusiven Lehrredaktion. Die Inklusive Lehrredaktion ist ein Projekt von Jugend am Werk, gefördert vom Fonds Soziales Wien.

Mario Simona (Text, Recherche), INKLUSIVE LEHRREDAKTION und Anna Mark (Interviews, Text), ORF

Links:

Audiotranskript Stephanie Godec:
„Die SZU Ungargasse ist wirklich ein einmaliges Beispiel, auch innerhalb des UNESCO-Schulnetzwerks in Österreich. Es gibt keine vergleichbare Schule, das muss man gleich vorwegschicken. Die umgekehrte Inklusion wird, glaube ich, da traue ich mich zu behaupten, fast nirgends zu gelebt wie in der SZU Ungargasse. Und ich fand es eigentlich ganz spannend in Gesprächen mit der Frau Direktorin, was sie gesagt hat, v.a. der Wille muss eigentlich da sein. Das eine ist natürlich Finanzierung, es muss auch politische Finanzierung geben und Unterstützung geben auf jeglicher finanziellen Ebene, weil es natürlich sehr viel Förderbedarf gibt auf unterschiedlichen Ebenen auch, aber es muss, um sie noch einmal zu zitieren, das Mindset einfach auch da sein. Also es muss das Lehrpersonal sehen, dass das auch schaffbar ist. Ich glaube, auf der einen Seite ist es, dass man denkt, man möchte gerne inklusiv sein oder möchte inklusiv für Schule sein, aber ich glaube, dass sich viele das gar nicht zutrauen, inklusiv zu sein, weil sie Angst haben, Fehler zu machen. Und ich glaube, es ist wichtig, Mut Fehler zu machen und mit den betroffenen Personen oder Menschen mit Behinderung zu sprechen und zu sagen, es tut mir leid, dass ich einen Fehler gemacht habe, das kann man ja direkt ansprechen und dann einfach zu besprechen und beim nächsten Mal macht man es dann richtig. Also ich glaube, das ist ganz wichtig, unter den Kolleginnen einfach ein Bewusstsein zu schaffen, also unter den Lehrern, dass Fehler gemacht werden können. Und das zweite ist aber natürlich auch eine Ressourcen-Frage. Wie viel Zeit kann man damit verbringen? Ressourcen müssen einfach besser genutzt werden, damit es umgesetzt werden kann, das heißt man müsste mehr Zeit zur Verfügung stellen, Lehrpersonen, also bezahlte Arbeitszeit, dass es umgesetzt werden kann. Und was auch wichtig ist, dass Institutionen oder dass man auch mit Parlamentarierinnen spricht, weil die haben natürlich Einfluss, weil da ist dann politischer Wille da und plötzlich gibt es dann vielleicht eine Finanzierung oder finanzielle Möglichkeiten oder andere Möglichkeiten. Oder es wird einfach in einem Regierungsprogramm eingeplant und ich glaube, man muss ganz stark über die politische Ebene gehen und einfach auch Empathie und Wissen dort verbreiten. Man geht immer davon aus, glaube ich, dass Politikerinnen sehr viel Wissen oder allwissend sind und das stimmt natürlich nicht. Sie haben genauso ihre blinden Flecken und Bildungslücken, also wie alle Menschen auch und ich glaube, dass es einfach wichtig ist, ihnen zu zeigen, welche Möglichkeiten es gibt und wo es Unterstützung braucht und nicht aufzuhören, nachzufragen und das einzufordern.“

Audiotranskript Schüler:
„Also ja, ich war im Gymnasium in der fünften Klasse, in der Oberstufe, und da ging es mir nicht so gut. Und ich wurde beraten von den Lehrern, und da gab es auch eine Beraterin, und die hat mir dann die SZU vorgeschlagen, nachdem ich ihr gesagt habe, dass ich Interesse für Technik habe. Die Lehrer sind viel chilliger, kann man sagen. Sie passen auf die Schüler auf, sie gehen auf die Schüler zu, also auf die Schule ein. Und wenn du Schwierigkeiten hast, kannst du nachfragen. Oder auch, wenn sie merken, also wenn man sich selber nicht mal traut zu fragen, und sie merken, dass du dir schwer tust, gehen sie auf dich zu, und dann reden sie mit dir. Das ist ein großer Unterschied.“
„Man lernt wirklich eine sehr wichtige soziale Kompetenz, dass man mit Menschen mit Beeinträchtigungen umgeht, und das hilft auch im späteren Leben, wo ja mit dem Alter kommen natürlich unterschiedliche Sachen auf einen zu, dass man da sozial umgehen kann mit den Leuten. Ich würde mich auf jeden Fall nicht dafür schämen, falls das überhaupt ein Thema ist, dass man an eine Integrationsschule geht, oder man seine Kinder schickt. Ich finde die Schule auch, also vom Inhalt her, von sozialen Kompetenzen her, was einem beigebracht wird, ich finde das gehört in einer Schule fast. Also nicht nur fast, sondern ich sehe das als vollkommen richtig in einer Schule, dass man solche soziale Kompetenzen erlernt. Ich würde den Schämensfaktor absolut streichen.“

Audiotranskript Wolfgang Plaute:
„Qualitätsvolle Pädagogik, qualitätsvolle Bildung, qualitätsvolle Einrichtungen und Bildungseinrichtungen kosten Geld. Und wenn wir inklusive Bildung wollen, dann müssen wir uns auch dazu bekennen, dass wir dafür Geld in die Hand nehmen, um Win-Win-Situationen herzustellen. Auch den Gewinn für alle anderen Schüler und Schülerinnen. Und es gibt zwei große Zugänge. Einmal, dass die Schüler und Schülerinnen, sozusagen, individualisierte Lehrpläne haben. Das heißt, je nachdem, wo ich stehe, mit meiner Entwicklung, mit meinen Kompetenzen, sozusagen, dort muss angeknüpft werden, dort muss ich weiter lernen. Indem die Kinder Wochenpläne haben, an denen sie individuell arbeiten. Es ist ein hoher Grad an Selbstständigkeit in diesen Systemen. Die Kinder arbeiten selbstständig, die Kinder arbeiten in Kleingruppen, die Kinder lernen voneinander, miteinander. Da ist die Lehrperson sozusagen Anlaufstelle für die Kinder. Und die Kinder kommen zu den Lehrerinnen und sagen, schau, das habe ich jetzt gemacht. Die Lehrerin geht dann drüber, schaut sich das an und sagt, super, das hast du toll gemacht! Oder schau, da musst du noch einmal rechnen, das war es noch nicht. Und dann sausen die Kinder wieder und beschäftigen sich mit ihren Aufgaben. Diese Zentralfigur des Lehrers ist in diesen Klassen nicht so gegeben wie bei uns. Und besser eine größere Klasse mit zwei Lehrern als eine kleinere Klasse mit einer Person. Warum? Weil ich als Lehrperson ja auch ein Korrektiv brauche. Wir wissen es ja eh, wie es ginge und unterdisziplinär in den Schulen, dass verschiedene Professionen da sind und dass man Unterstützung hat und dass man entsprechende Ressourcen hat. Und dann sind wir natürlich auch wieder bei einer Kostenfrage. Ja, das darf was kosten. Und wenn Sie sich die finanziellen Aufwendungen pro Kind und Jahr in Österreich in der Bildung anschauen, im internationalen Vergleich, dann werden Sie sehen, dass wir wahnsinnig viel Geld für Bildung ausgeben in Österreich. Das Teuerste sind die sonderpädagogischen Einrichtungen. Ja, wir gehören zu den Top-Nationen der Welt, was pro Kind und Jahr ausgegeben wird.“